Vor zwei Jahren startete Wladimir Putin einen nicht provozierten militärischen Angriff auf die Ukraine, der Tod und Zerstörung in einem seit dem zweiten Weltkrieg beispiellosen Ausmaß brachte. Begleitet wird der Krieg gegen die Ukraine von einem immer härter werdenden Vorgehen gegen politischen Widerstand und gegen die Meinungsfreiheit in Russland. Vor kurzem erschütterte der Tod von Alexej Nawalny, dem wichtigsten politischen Gegner Putins, die Welt. Vor seiner Haft, in der er gefoltert und schließlich ermordet wurde, überlebte Nawalny ein staatlich unterstütztes Giftattentat mit chemischem Kampfstoff. Trotz dieses grausamen Erlebnisses entschied er sich für die Rückkehr nach Russland und zeigte damit wahren Patriotismus.
Der Krieg in der Ukraine und der Mord an Alexej Nawalny gehen nicht bloß Russland und die Ukraine an. Putins Regime hat klar werden lassen, dass es eine ernsthafte und unmittelbare Bedrohung für die Menschheit darstellt. Seit seiner Machtübernahme im Jahr 2000 hat Putin systematisch die post-sowjetischen demokratischen Institutionen demontiert und die Konflikte in den ehemaligen UdSSR-Staaten geschürt. Die umfassende Aggression gegen die Ukraine und die Ermordung von Alexej Nawalny zeigen, dass die Bedrohung auf eine neue Stufe eskaliert ist und machen deutlich, dass Putins Regime keine Grenzen mehr kennt, was die Verletzung von Menschenrechten und internationalen Normen angeht.
Die Schrecken der Weltkriege im 20. Jahrhundert haben gezeigt, dass die Menschheit ihre Selbstzerstörung nur durch die Aufrechterhaltung demokratischer Grundsätze und die Wahrung der internationalen Menschenrechtsnormen verhindern kann. Putins Regime aber tritt zynisch diese Grundsätze mit Füßen. Die Tragödien des Totalitarismus im 20. Jahrhundert verpflichten dazu, sich für die Freiheiten und die Würde des Einzelnen einzusetzen. Putin verletzt diese Grundsätze eklatant. Er hat Russland in einen hoch militarisierten Polizeistaat verwandelt ausgestattet mit dem größten Atomwaffenarsenal, was für die Welt eine existenzielle Bedrohung darstellt. Auf diese Bedrohung haben Alexej Nawalny und andere führende Vertreter der russischen Opposition hingewiesen und sich dabei berufen auf das Vermächtnis ihres großen Vorgängers, Akademiker und Friedensnobelpreisträger von 1975, Andrej Sacharow.
Wir, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt, appellieren an die Staats- und Regierungschefs der Welt, sich mit Nachdruck für Frieden, Fortschritt und Menschenrechte einzusetzen. Als Mitglieder der internationalen akademischen Gemeinschaft sind wir zutiefst besorgt darüber, dass der wissenschaftliche Fortschritt bedroht ist, wenn Diktatoren die intellektuelle Freiheit untergraben, insbesondere in einer Zeit, in der die globale Zusammenarbeit angesichts weltweiter Pandemien, des Klimawandels und der existenziellen Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen wichtiger ist denn je.
Wir rufen die Staats- und Regierungschefs der Welt und alle Menschen guten Willens auf, jegliche Illusion über Putin und sein verbrecherisches Regime aufzugeben. Die Geschichte lehrt uns, dass die Beschwichtigung eines Aggressors zu weiteren Verbrechen gegen die Menschheit führt. Kein vorübergehender Nutzen kann dies rechtfertigen. Wir sind entschlossen, München 1938 nicht zu wiederholen!
Wir rufen die führenden Politiker der Welt auf:
- Unterstützung für die Ukraine massiv zu steigern. Die Ukraine muss gewinnen, nicht bloß „nicht verlieren“. Schnelle Hilfe wird den Verlust von Menschenleben verringern und dazu beitragen, den Aggressor aus dem ukrainischen Gebiet zu vertreiben. Putins Niederlage bei der militärischen Aggression wird von Millionen Russen als moralischer Sieg empfunden werden, was ihre Hoffnung auf eine demokratische Zukunft stärken und ihre Antikriegsbewegung mobilisieren wird.
- Menschenrechte zu bewahren und die demokratische Opposition in Russland zu unterstützen. Die Weltgemeinschaft muss sich zusammentun, um politische Gefangene zu schützen, die derzeit in Russland gefoltert werden. Das Leben der Oppositionsführer/innen Wladimir Kara-Murza, Ilja Jaschin, Lilia Tschanyschewa und vieler anderer ist in unmittelbarer Gefahr.
- die Unterstützung für russische Bürger und Bürgerinnen zu verstärken, die aufgrund ihrer demokratischen und kriegsfeindlichen politischen Überzeugungen von Verfolgung bedroht sind und Asyl brauchen.
- russische demokratische Anti-Putin-Organisationen zu stärken, wozu auch die Unterstützung unabhängiger russischer Medien gehört, die eine treibende Kraft für den Regimewechsel sind.
- Putins rechtswidrigen Machterhalt in Russland zu delegitimieren. Ungeachtet seiner Propaganda sucht Putins Regime verzweifelt nach Anerkennung durch die Weltgemeinschaft. Wenn die Staats- und Regierungschefs sich weigern, die Wiederwahl Putins anzuerkennen, senden sie die klare Botschaft, dass die Welt ihn nicht länger als „Partner“ betrachten kann.
Wir ermutigen jede und jeden guten Willens und deren Organisationen, alle verfügbaren Ressourcen zu nutzen, um ihre politischen Führer aktiv dazu zu bewegen, gegen die russische Aggression anzugehen und für die Ukraine einzustehen. Wir würdigen Alexej Nawalnys letztes Opfer und betonen, wie wichtig die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist, um Russland in die Gemeinschaft der Demokratien zu integrieren. Durch gemeinsames Handeln können wir dazu beitragen, den Frieden in Europa zu sichern und eine weltweite Katastrophe zu verhindern.
- Svetlana Alexievich, 2015 Nobel Laureate in Literature
- Harvey J. Alter, 2020 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Francoise Barre-Sinoussi, 2008 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Thomas R. Cech, 1989 Nobel Laureate in Chemistry
- Elias James Corey, 1990 Nobel Laureate in Chemistry
- Shirin Ebadi, 2003 Laureate of Nobel Peace Prize
- Sheldon Lee Glashow, 1979 Nobel Laureate in Physics
- Carol W. Greider, 2009 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Roald Hoffmann, 1981 Nobel Laureate in Chemistry
- Louis J. Ignarro, 1998 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Elfriede Jelinek, 2004 Nobel Laureate in Literature
- Takaaki Kajita, 2015 Nobel Laureate in Physics
- Roger D Kornberg, 2006 Nobel Laureate in Chemistry
- Ferenc Krausz, 2023 Nobel Laureate in Physics
- Brian K. Kobilka, 2012 Nobel Laureate in Chemistry
- Roderick MacKinnon, 2003 Nobel Laureate in Chemistry
- Barry J. Marshall, 2005 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- John C. Mather, 2006 Nobel Laureate in Physics
- Michel Mayor, 2019 Nobel Laureate in Physics
- May-Britt Moser, 2014 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Edvard Ingjald Moser, 2014 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Herta Müller, 2009 Nobel Laureate in Literature
- Paul Nurse, 2001 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- James Peebles, 2019 Nobel Laureate in Physics
- William D. Phillips, 1997 Nobel Laureate in Physics
- H. David Politzer, 2004 Nobel Laureate in Physics
- Charles M. Rice, 2020 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Sir Richard J. Roberts, 1993 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Bert Sakmann, 1991 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Randy W. Schekman, 2013 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Gregg L. Semenza, 2019 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Vernon L Smith, 2002 Nobel Laureate in Economics
- Wole Soyinka, 1986 Nobel Laureate in Literature
- Gerardus ‘t Hooft, 1999 Nobel Laureate in Physics
- Jack W. Szostak, 2009 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Drew Weissman, 2023 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Eric F. Wieschaus, 1995 Nobel Laureate in Physiology or Medicine
- Jody Williams, 1997 Laureate of Nobel Peace Prize
- Oleksandra Matviichuk, Head of the Center for Civil Liberties, 2022 Laureate of Nobel Peace Prize
- International Memorial Association, recipient of the 2022 Nobel Peace Prize
- Roger B. Myerson, 2007 Nobel Laureate in Economics
Quelle: https://www.t-invariant.org/2024/03/keine-toleranz-mehr-fuer-putins-regime-br-ein-appell-von-wissenschaftlern-und-wissenschaftlerinnen-aus-der-ganzen-welt/